
Als Lotsin war ich in Hannover auf dem OERcamp unterwegs und habe an einer Session von Meggi Wiesmann (Universität zu Köln, digiLL) teilgenommen, in der es um kollaborative Lernmodulproduktion in großen Verbünden ging. Der Rahmen war ambitioniert: In einem europäischen Projekt entstanden innerhalb eines Jahres zwanzig H5P-Lernmodule, gebündelt in vier Online-Kursen und übersetzt in vier Sprachen. Die Themen reichten von digitalen Kompetenzen über Nachhaltigkeit bis zu Inklusion, Diversität und dem Wohlbefinden von Lehrkräften. Spannend war nicht nur das Ergebnis, sondern vor allem die Produktionslogik und die Art der Zusammenarbeit, die Meggi mit uns geteilt hat.
Die Kölner Lehramtsplattform ZfL-Lernen dient als Schaufenster für die Kurse. Im Hintergrund arbeiten verschiedene Ebenen zusammen: lokal die AG Digitale Lehre am Zentrum für Lehrerbildung, national das digiLL-Netz mit inzwischen einem Dutzend Standorten und international der teff-Verbund mit vier bis sechs Partnerländern pro Modul. H5P war dabei die technische Basis, weil es die entscheidende Anforderung erfüllt: Inhalte lassen sich in unterschiedliche Systeme übernehmen, ohne dass die Partner einen Zugang zur Kölner Infrastruktur brauchen.
Was meinen Blick besonders geschärft hat, war der sehr saubere Prozess. Am Anfang stand stets ein Konzept, das Zielgruppen, Lernziele, vorhandene Ressourcen und Qualitätskriterien sammelte. Darauf folgte ein Drehbuch, das nicht nur Sprecher:innentexte enthielt, sondern auch Instruktionen für Medien, Interaktionen, Alternativtexte, Lizenzen und Barrierefreiheitsaspekte. Erst danach kam der Prototyp, und zwar in einem eigens entwickelten H5P-Inhaltstyp namens Portfolio. Dieser Inhaltstyp erlaubt Kapitelstrukturen mit Platzhaltern, die sich per Drag and Drop anordnen lassen. Das klingt banal, ist aber didaktisch sehr klug, weil es Teams ohne tiefe H5P-Erfahrung in die Lage versetzt, eine konsistente Gestalt und Navigation zu halten. Die Integration in Online-Kurse mit übersichtlicher Startseite und grafischer Navigation schuf zusätzlich Orientierung für Lernende und erleichterte später die Lokalisierung.
Kollaboration zeigte sich hier nicht als „jeder macht sein Teil“, sondern als geteilte Verantwortung über Phasen hinweg. Drehbuch und Umsetzung lagen häufig bei unterschiedlichen Personen und Standorten, Feedback kam aus Fokusgruppen mit Studierenden und Lehrenden, die Qualitätssicherung lief iterativ und sichtbar. Interessant war auch der Übersetzungsweg. Die fertigen Module wurden, nach einer kurzen Einweisung, von Übersetzungsagenturen direkt im H5P bearbeitet. Das sparte Copy-and-Paste-Fehler und hielt die Versionen synchron. Für die Kurselemente außerhalb von H5P, etwa Landingpages, brauchte es dennoch Nacharbeit. Und da wurde deutlich, wie sehr eine früh geklärte Terminologie entlastet: Ein gemeinsames Glossar zu Anredeformen, Gender-Schreibweisen und Zielgruppenbegriffen hätte am Ende viel Redaktionszeit gespart. Das ist eine Lehre, die wir für unsere eigene Arbeit sofort mitnehmen können.
In der Diskussion ging es immer wieder um die Organisation der Zusammenarbeit. Ohne verbindliche Routinen zerfasert Kollaboration schnell. Der Verbund arbeitete mit klaren Arbeitspaketen und Jour-fixe-Rhythmus, definierte Rollen, Checklisten, Vorlagen für Konzept, Storyboard, Styleguide und Qualitätssicherung. Dieses Vorlagenset, im teff-Manual und Booklet gebündelt, hatte eine doppelte Funktion. Einerseits gab es Tempo, weil Fragen zur Form nicht in jeder Gruppe neu verhandelt werden mussten. Andererseits stabilisierte es die inhaltliche Kohärenz über Ländergrenzen hinweg, ohne lokale Anpassungen zu blockieren. An einer Stelle war die Balance spürbar schwierig: Die Sichtbarkeit der unterschiedlichen Länderperspektiven in den Modulen zu sichern, blieb eine Daueraufgabe.
Sehr pragmatisch war der Umgang mit Zertifikaten. Gesucht war eine Lösung ohne Nutzerdaten. Die Kölner Kolleg:innen ließen ein Formular bauen, das Namen in ein hinterlegtes Zertifikat rendert. Das ist kein Selbstzweck, sondern Teil der Akzeptanzarbeit: Wer Lernzeit investiert, möchte diese auch sichtbar machen. Ebenso pragmatisch war die Idee, Transferflächen für Austausch und Weiterbau anzulegen, etwa padlet-ähnliche Sammlungen, denn Kollaboration endet nicht mit dem Release eines Moduls.
Was nehme ich als Lotsin mit?
Erstens: Kollaboration braucht eine frühe, gemeinsam erzeugte Orientierung. Ziel, Rollen, Kommunikationswege, Meilensteine und Qualitätskriterien müssen sichtbar sein und dürfen nicht implizit bleiben.
Zweitens: Vorlagen sind nicht nur Bürokratie. Es kann Zeit sparen, die Ergebnisqualität erhöhen und alle Beteiligten entlasten.
Drittens: Internationale Zusammenarbeit gelingt nur, wenn wir Terminologie und Beispiele systematisch diversifizieren. Ein gemeinsames Glossar am Anfang ist sinnvoller, als ein hektisches Redigieren am Ende.
Viertens: Technische Entscheidungen sind didaktische Entscheidungen. Ein Portfoliotyp in H5P, der Struktur erzwingt und Kollaboration vereinfacht, verändert das Arbeiten spürbar.
Fünftens: Sichtbare, kleine Meilensteine sollte man sich immer wieder ins Bewusstsein rufen.
Das OERcamp und die Session zeigte, wie Kollaboration konkret aussehen kann. Und es machte Mut, weil vieles von dem, was funktioniert hat, kein „Spezialwissen“ voraussetzt, sondern Konsequenz in Prozess, Sprache und Rollen. Genau dort setzen wir auch in unserem Manual an. Seid gespannt drauf 🙂
~ Johanna Boick
